Hallo!
Ich bin zwar auch keine Pilotin und keine Fachfrau, aber ich würde trotzdem gern einige Informationen zu Ihren Fragen geben.
Ihre ersten Fragen nach den Flugzeugtypen wird hier wahrscheinlich auch niemand sicher beantworten können, da die Informationen teilweise zu spezifisch und aufwendig zu beschaffen sind. Das Einzige, was ich dazu sagen könnte, ist, dass der Zwischenfall mit dem LH 1829 Flug mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) gemeldet wurde. Diese Behörde ist für die Aufklärung von Unfällen und schweren Störungen, die beinahe einen Unfall herbeigeführt hätten, zuständig. Da das Versagen des Autopilotensystems und daraus resultierender steiler Sinkflug eben beinahe zu einem Absturz geführt hätten, denke ich, dass sich die BFU schon mit dem Zwischenfall beschäftigt hatte. Nähere Informationen zu der BFU-Definition einer „schweren Störung“ können Sie hier nachlesen.
„Liegt ein steiler Sinkflug (1000 Meter Sinkrate in einer Minute) im Rahmen des Üblichen oder Machbaren eines A320 oder A321 bei einer Fluggeschwindigkeit von 890 km/h?“
So ein Sinkflug dürfte schon im Rahmen des Machbaren der „bestverkauften Single-Aisle Aircraft Family“ (nach Angaben des Herstellers) – also der Flugzeugreihe mit einem schmalen Rumpf und einem zentralen Gang in der Kabine, liegen. Bei einer plötzlichen Dekompression müssen Flugzeuge in der Lage sein, innerhalb von wenigen Minuten von der Reiseflughöhe (grob gesagt 10.000 Meter) auf eine Flughöhe herabsteigen, auf der die Atmung ohne Sauerstoffmasken gewährleistet werden kann (etwa 3.000 Meter). Zwar kann der Mensch auch auf Höhen von über 3.000 Meter ohne externe Sauerstoffversorgung atmen (wie beim Höhenbergsteigen), jedoch muss der Körper darauf angepasst werden, indem man nur wenige Hundert Meter pro Tag aufsteigt. Wie das Aufhalten in potenziell lebensgefährlichen Flughöhen für relativ kurze Zeit aussieht weiß ich nicht, aber ich denke, man kann es nicht darauf abstellen, dass alle Fluggäste an Bord körperlich fit genug sind, um ohne jegliche Vorbereitung ein paar Stunden mit weniger Sauerstoff auskommen zu können. Wie gesagt – eine Expertin bin ich nicht, aber reine Logik sagt, dass die Flugzeuge der in ihrer Klasse meistverkauften Flugzeugfamilie für so einen steilen Sinkflug in der Lage sein müssen. Moderne Flugzeuge können je nach Flughöhe teilweise einen steilen Sinkflug mit einer Geschwindigkeit von bis zu 1.524 Meter pro Minute durchführen.
„Kommt es bei einem solchen steilen Sinkflug auch auf die Flughöhe an (also ist ein Sinkflug von 1000 Metern/ Minute genauso "schwierig" bei 31000 Fuß wie bei 10000 Fuß Flughöhe)?“
Die „Ausgangsflughöhe“ (also die Flughöhe, bei der das Flugzeug vom Steigflug bzw. Reiseflug zum steilen Sinkflug übergeht) ist sehr wichtig. Sollte ein steiler Sinkflug nicht beabsichtigt gewesen sein, so brauchen die Piloten ausreichend Zeit (kann in diesem Zusammenhang synonym zur Flughöhe betrachtet werden), um die Kontrolle über das Flugzeug wieder herzustellen, eine sichere Flugzeuglage und Flughöhe zu erlangen. Einen plötzlichen Verlust der Flughöhe auf 5.000 Meter wieder unter Kontrolle zu bekommen, dürfte wesentlich schwieriger sein, als auf 10.000 Meter. Weitere wichtigen Einflussgrößen sind Fluggeschwindigkeit, Flugzeuggewicht, die jeweilige Flugphase (also, ob Steig-, Reise- oder ein regulärer Sinkflug in Vorbereitung auf Landeanflug), die beabsichtigte Reiseflughöhe usw.
„Kann ein Sinkflug auch per Autopilot eingeleitet werden?“
Ja. Laut den aktuellen Medienberichten wird es vermutet, dass es beim Absturz der Germanwings-Maschine traurigerweise der Fall war.
„Können die Piloten solche Steuerbefehle des Bordcomputers (Höhenwerte, Geschwindigkeitswerte, Richtungswerte, Sinkraten, Anstellwinkel) beeinflussen oder manuell ändern (Autopilot ausschalten und Sinkflug beenden?)?“
Das sogenannte „Flight Management System“ ist eine der wichtigsten Komponenten der modernen Avionik. Vor dem Flug werden alle relevanten Daten, die im Flugplan enthalten sind, in dieses System eingegeben, dieses errechnet dann den notwendigen Kurs zum Ziel, welcher manuell oder mittels Autopiloten dann verfolgt werden kann. Ein Bordcomputer hat viel mehr die Funktion, die vorher eingegeben Daten durch das Abgleichen mit den Messwerten anderer Systeme und äußerer Messvorrichtungen zu berichtigen und anzuzeigen. Durch die Zusammenarbeit von Flight Management System und Bordcomputer wird ein genauer Kurs errechnet und angezeigt. Piloten können auch während des Fluges neue Daten in das Flight Management System eingeben (zum Beispiel, wenn eine Notlandung im nächstbesten Flughafen durchgeführt werden muss). Sie können auch den Autopiloten ausschalten und das Flugzeug beliebig steuern. Eine Steuerung in den steilen Sinkflug ist auch per Autopilot möglich.
2006 hat Boeing in Zusammenarbeit mit dem Avionik-Hersteller Honeywell ein Autopilotensystem zum Patent angemeldet, das nach dem Aktivieren allein die Steuerung des Flugzeuges übernimmt und keine Kontrolle von außen (jedenfalls nicht aus dem Cockpit) mehr zulässt bzw. dort nicht mehr ausgeschaltet werden kann. Das System nennt sich im englischen „Uniterruptible Autopilot“, also ein Autopilot, der nicht mehr unterbrochen werden kann. Die Aktivierung des Systems soll sowohl vom Cockpit aus, als auch vom Boden möglich sein. Es wurde entwickelt, um Abstürze bei Flugzeugentführungen zu vermeiden. Laut einigen Informationen soll das System künftig sowohl in Boeing- als auch in Airbus-Maschinen zum Einsatz kommen, es befindet sich jedoch offensichtlich noch nicht in der Produktionsphase. Das Wichtigste dabei ist eben - es muss jemand da sein, um eine Gefahrensituation zu erkennen und den Autopiloten zu aktivieren. Dieses System wäre, im Hinblick auf die aktuellen Erkenntnisse, im Falle der Germanwings-Maschine leider relativ sinnlos gewesen.
„Wie reagieren die Bordcomputer, wenn ein Strömungsabriss vorliegt?“
Es gibt diverse Warnsysteme, die durch Anzeigen oder durch Warntöne auf einen drohenden Strömungsabriss hinweisen.
Wenn ein Strömungsabriss beim eingeschalteten Autopiloten passiert, könnte zum Beispiel daran liegen, dass der Bordcomputer mit falschen Daten gefüttert wird und seine Berechnungen und Berichtigungen des vorher eingegebenen Flugplanes folglich falsch sind.
Fortsetzung im nächsten Post!